Sonntag, 18. September 2011

Schulden sind nicht der Hauptgrund für die Schuldenkrise

Als ehemaliger Rundfunkjournalist, der auch schon mal Sendungen mit Hörerbeteiligung mitgestaltet hat, ist mir klar, dass viele komplexe Themen eher emotional und polemisch diskutiert werden als rational und mit kühlem Kopf. Das trifft auch immer mehr auf die Debatte in Deutschland über die Euro-Schuldenkrise zu. Kein deutsches Geld für faule Griechen! Warum sollten wir Berlusconis Sex-Orgien mit unseren Steuern finanzieren? Und überhaupt: die Portugiesen, wir wussten es doch schon immer, dass die zu nichts taugen! Über die Iren liest man weniger, aber sie passen ja auch schlecht auf das Stereotyp des lebenslustigen aber sorglosen Südländers, der mit Mandoline und Rotwein am Strand sitzt, anstatt ehrlich und hart zu arbeiten.
Eine solche Verengung der Perspektive ist nicht nur dumm sondern auch gefährlich, weil die Debatte hierdurch unsachlich wird und zu falschen Schlüssen führen könnte. Zwei Fragen, die zu wenig diskutiert werden, deren Antworten aber unklarer sind als viele denken, sind die folgenden: was würde passieren, wenn im Falle eines Ausscheidens des "Club Med" eine "Triple A" Währungsunion entstehen würde mit Deutschland und den Niederlanden, Finnland und Luxemburg, vielleicht noch Frankreich? Und: sind wir uns tatsächlich so sicher, dass die Schulden und die unsolide Haushaltsführung bestimmter Länder das Kernproblem darstellen?
Ohne dass ich einen Anspruch darauf erhebe, es genau zu wissen, zitiere ich in Bezug auf die erste Frage einen der klügsten Beobachter der Weltwirtschaft, Martin Wolf, Chefökonom der Financial Times, der nebenbei noch nicht aufgefallen ist als großer Freund der Währungsunion:"Die Deutschen sollten sich bewusst darüber sein, dass in diesem Falle der Wechselkurs stark steigen würde, die deutschen Exporte folglich weit weniger gewinnträchtig wären, das Rückrat der deutschen Wirtschaft also unter Druck käme und damit auch das Wachstum. Daneben wäre dies auch gleichbedeutend mit dem politischen Scheitern zweier Generationen, ein starkes europäisches System zu bauen, das Deutschland umgibt." Sehen all jene, die heute cool ein Ausscheiden Griechenlands aus der Währungsunion fordern diese Risiken?
Zur zweiten Frage, also jener ob Schulden und Schlendrian die Hauptverantwortlichen der Krise sind, werfe ich einfach ein paar Daten in die Runde, die vielleicht den einen oder anderen überraschen dürften: zwischen 2001 und 2011 ist die Gesamtverschuldung der öffentlichen Haushalte in Italien nur um rund 10% gestiegen, in Deutschland indes um etwa 20% und in den USA gar um mehr als 40%. Und: Italien hatte während der Finanzkrise (2007-2009) mit die niedrigsten Haushaltsdefizite in Europa, ganz zu schweigen von den USA, die teilweise mehr als 10% Defizit pro Jahr anhäuften. Die Bilanz der italienischen Finanzpolitik ist also in den letzten Jahren - entgegen der gängigen Meinung nördlich der Alpen - alles andere als schlecht gewesen. Es stimmt zwar, dass Italien seit langem eine hohe Staatsverschuldung vor sich her schiebt. Das aber ist keine Neuigkeit, sondern war schon vor 30 Jahren so. Warum merken es die Märkte erst heute? Nebenbei: Japan ist seit langem viel höher verschuldet als Italien; 2011 werden es voraussichtlich 228% des Bruttolinlandsproduktes sein, in Italien sind es knapp 120%! Niemand aber würde die Zahlungsfähigkeit Japans ernsthaft in Zweifel ziehen. Sind also die Schulden wirklich der Hauptgrund für die derzeitige Krise? Ich bezweifle dies.
In den nächsten Tagen werde ich auf die vermutlich wichtigeren Gründe für die aktuelle Krise eingehen.

3 Kommentare:

  1. Zu Ihrer zweiten Frage bemerke ich, daß Schulden zunächst keine Ursachen bzw. keine Verantwortlichen einer Krise sind, sondern ein Ergebnis aus Ausgaben, die die Einnahmen übersteigen.

    Zur Krise kommt es, wenn weitere Schuulden in jeder Periode dazu führen, daß der Schuldsaldo permanent wächst. Dann finden sich nämlich weiteren Gläubiger mehr, die weitere Kredite geben wollen.

    Das ist so einfach, das kann jedes Schuldkind nachrechnen. Die Regierung Italiens hätte das auch herausfinden können. Hat sie aber nicht; und das ist Schlendrian.

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  2. genauer says: Ich komme hierher via Olafs Empfehlung.

    Von den 230 % Staatsschulden Japans muss man immer ca 80 % Staatguthaben abziehen. Bei Singapore ist das genauso.

    Was in Japan aber seit mindestens 1985 schlecht ist, sind die Schulden der privaten Haushalte,
    speziell weil die meisten nicht für Immobilienkauf, wie im Rest der Welt verwendet wurde. Da sind viele Haushalte de facto überschuldet (meine Interpretation)

    Das hat ein Warren Brussee 2005 in einem Buch zu folgender Vorhersage gebracht:

    The Second Great Depression, Starting 2007, Ending 2020

    ein paar Daten dazu:

    http://www.slideshare.net/genauer/consumer-debt-9349151

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  3. Sehr interessant der Punkt der Verschuldung von Privathaushalten, die nebenbei in Italien seht niedrig ist, ganz anders als beispielsweise in Spanien.
    Was den wachsenden Schuldensaldo betrifft, so bin ich nicht ganz einverstanden, denn man muss in Rechnung stellen, dass dieser in Italien weniger dynamisch gewachsen ist als selbst in Deutschland, zwischen 2001 und 2011.

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